Osteuropa im Fokus: Digitalisiertes und lizenziertes Filmmaterial für die Film- und Osteuropaforschung

Begreift man Film als „eye of the twentieth century“1, dann wird der unschätzbare Wert dieser Quellengattung für die Erforschung der jüngeren Geschichte rasch deutlich. Filme dokumentieren nicht nur Ereignisse in bewegten Bildern, sondern spiegeln auch gesellschaftliche Entwicklungen, kulturelle Strömungen und zeitgenössische Wahrnehmungen wider. Die Erforschung der filmgeschichtlichen Diskurse trägt dazu bei, ein lebendigeres und facettenreicheres Bild der Geschichte und Gesellschaft zu zeichnen. Dies gilt für das östliche Europa nicht anders als für andere Großräume.

Die Zugriffsmöglichkeiten auf Filme und Literatur des filmgeschichtlichen Diskurses konnten dabei in den letzten Jahren gerade mit Blick auf den osteuropäischen Raum durch zahlreiche Digitalisierungsprojekte deutlich verbessert werden. Das Material ist ganz heterogen und zumeist in Datenbanken aufbereitet. Von Dokumentarfilmen, Dramen und Animationen über filmwissenschaftliche Fachzeitschriften bis hin zu Kinozeitschriften und Archivdokumenten liegt es teils frei zugänglich, teils lizenzpflichtig vor.

Schwerpunkt dieses Beitrags soll auf den lizenzpflichtigen filmbezogenen Datenbanken zum östlichen Europa liegen, die dank der Lizenzierungsaktivitäten mehrerer Fachinformationsdienste mit Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft nunmehr als Nationallizenz deutschlandweit und an deutschen Auslandsinstitutionen zugänglich sind. Die Digitalisierung und Lizenzierung dieser Sammlungen bietet nicht nur eine Erleichterung in der Forschung, sondern auch neue Perspektiven auf die osteuropäische Filmgeschichte und ihre globale Bedeutung. Von der Avantgarde-Bewegung der 1920er Jahre über Propagandafilme der Sowjetunion bis hin zur Filmwelt der Russischen Föderation decken die im Folgenden präsentierten Ressourcen ein breites Spektrum (film-)historisch relevanter Quellen ab.

1. Datenbanken als Nationallizenz

1.1. Filmwissenschaftliche Fachzeitschriften

„Kino-fot“, „Kino-zhurnal A. R. K.“, „Iskusstvo Kino“ © East View Information Services

Kino-fot Digital Archive (DA-KFO)

Die russischsprachige Film- und Fotokunstzeitschrift Kino-fot (russisch: Кино-фот) wurde zwischen August 1922 und Januar 1923 in sechs Ausgaben veröffentlicht. Abstrakte Fotomontagen, innovative typografische Entwürfe sowie programmatische Texte spiegeln die zentralen Ideen der konstruktivistischen Gruppe um Aleksej Gan, Varvara Stepanova und Aleksandr Rodčenko wider. Die Zeitschrift gilt als einflussreiches Publikationsorgan des sowjetischen Avantgarde-Designs.2

Lizenziert durch Fachinformationsdienst Kommunikations- und Medienwissenschaft in Kooperation mit dem Fachinformationsdienst Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa 

+++ deutschlandweit frei zugänglich +++

Direktlink zu Kino-fot in DBIS: https://dbis.uni-regensburg.de/ALL/resources/105888

Kino-zhurnal A.R.K. Digital Archive (DA-KIN)

Die Filmzeitschrift Kino-zhurnal A.R.K. (russisch: Кино-журнал А. Р. К., in deutscher Transliteration „Kino-žurnal A. R. K.“) wurde zwischen 1925 und 1926 monatlich veröffentlicht. Herausgegeben von Nikolaj Lebedev im Auftrag der Moskauer Vereinigung der revolutionären Kinematographie bot sie einigen der einflussreichsten Filmschaffenden jener Zeit, etwa Sergej Ėjzenštejn, eine Plattform zur Präsentation ihrer Ansätze. Neben Nachrichten aus der sowjetischen Filmwelt berichtete sie über Entwicklungen im Ausland, behandelte internationale Filmausstellungen, widmete sich filmtechnischen Innovationen und bot Einblicke in Zuschauerstatistiken innerhalb der Sowjetunion.3

Lizenziert durch Fachinformationsdienst Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa in Kooperation mit dem Fachinformationsdienst Kommunikations- und Medienwissenschaft

+++ deutschlandweit frei zugänglich +++

Direktlink zu Kino-zhurnal A.R.K. in DBIS: https://dbis.ur.de/ALL/resources/105747

Iskusstvo Kino Digital Archive

Die Zeitschrift Iskusstvo Kino (russisch: Искусство кино) gilt als die wichtigste und einflussreichste Fachpublikation aus dem russischsprachigen Raum.4 Gegründet im Jahr 1931 war sie zunächst zentrales Organ des sowjetischen Ministeriums für Kultur und Kommunikation, später der Russischen Föderation. Außerdem war sie über Jahrzehnte eng mit den wichtigsten Vereinigungen russischer Filmschaffender verbunden. Sie enthält u.a. Filmkritiken, Interviews und Artikel von und über Filmschaffende sowie über Filmtechniken. Mit der Digitalisierung aller erschienenen Jahrgänge werden neun Jahrzehnte Entwicklung der russischen Film-, Kunst- und Kulturgeschichte durchsuchbar gemacht. So dokumentiert sie u.a. die sozialistische Propaganda in der Stalinzeit und reflektiert den Einfluss des sozialistischen Realismus auf das Filmschaffen.5

Lizenziert durch die Staatsbibliothek zu Berlin

+++ deutschlandweit frei zugänglich +++

Direktlink zu Iskusstvo Kino Digital Archive in DBIS: https://dbis.ur.de/ALL/resources/104642

1.2. Kinozeitschriften und Archivdokumente

Screen and Stage Online

Die Sammlung „Screen and Stage Online“ enthält russischsprachige Theater- und Kinozeitschriften aus Dnipropetrowsk, Kasan, Kiew, Moskau, Odessa und St. Petersburg aus der Zeit 1889 bis 1919.6 Sie ist Teil der „Primary Sources for Slavic Studies“ von Brill, die digitalisierte Sammlungen teilweise sehr seltener Primärliteratur zu unterschiedlichen Aspekten russischer und sowjetischer Geschichte umfasst.

Lizenziert durch die Bayerische Staatsbibliothek München 

+++ deutschlandweit frei zugänglich +++

Direktlink zu Primary Sources for Slavic Studies in DBIS: https://dbis.ur.de/ALL/resources/9944

Soviet Cinema Online: Archival Documents from RGALI, 1923 – 1935

Die Sammlung „Soviet Cinema Online: Archival Documents from RGALI, 1923 – 1935“ ist eine weitere Unterkollektion der „Primary Sources for Slavic Studies“ von Brill. Sie enthält digitalisierte Dokumente des Russischen Staatsarchivs für Literatur und Kunst (RGALI) zur frühen Phase der sowjetischen Filmindustrie von 1923 bis 1935, einer Zeit rasanter Entwicklung, in der jährlich bis zu 100 Filme produziert wurden.  Mit der Einführung der Planwirtschaft unter Stalin nahm die Filmproduktion stark ab, während Zensur und politische Einflussnahme auf das Filmwesen zunahmen. Die Kollektion umfasst u.a. Finanzpläne, Briefkorrespondenzen, Sitzungsprotokolle sowie Listen zensierter – sowohl sowjetischer als auch ausländischer – Filme. Forschende erhalten so Quellenmaterial zur Analyse der Zentralisierung, Bürokratisierung und ideologischen Steuerung des Films im Kontext des aufkommenden Stalinismus.7

„Screen and Stage Online“, „Soviet Cinema Online Archival Documents from RGALI, 1923-1935“ © Brill

 Lizenziert durch Fachinformationsdienst Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa

+++ deutschlandweit frei zugänglich +++

Direktlink zu Soviet Cinema Online in DBIS: https://dbis.ur.de/ALL/resources/102972

1.3. Filmkollektionen

Socialism on Film

Die Filmkollektion Socialism on Film. Cold War and Propaganda enthält wertvolle audiovisuelle Quellen zur Geschichte der sozialistischen Staaten und ihrer Selbstinszenierung. Für die Osteuropaforschung besonders relevant sind Filme aus der Sowjetunion und den Ostblockstaaten, die politische und gesellschaftliche Entwicklungen vom frühen 20. Jahrhundert bis zum Ende des Kalten Krieges dokumentieren – darunter die Russische Revolution, Zweiter Weltkrieg, Holocaust, Kalter Krieg und Atomkrieg. Unterkollektionen wie Lenin und die Russische Revolution, Sowjetische Kinomagazine und Wochenschauen, Politik und Gesellschaft sowie Jugend und Bildung geben Einblicke in Propaganda, Ideologie und den sozialistischen Alltag. „Die Filme bilden einen Kontrapunkt zur westlichen Wahrnehmung der kommunistischen Länder, da sie deren eigenes Selbstbildnis und Selbstverständnis während der bedeutenden politischen und gesellschaftlichen Ereignisse des 20. Jahrhunderts beleuchten“, reflektiert Kunz in seinem Blog-Beitrag über die Kollektion.8 Das Portal ermöglicht eine Recherche nach Produktionsländern, Genres und Zeiträumen. Neben politischen Dokumentarfilmen finden sich auch Dramen, Animationen und Interviews.

„Socialism on Film. Cold War and Propaganda“ (Ausschnitt aus dem Flyer) © Adam Matthew Digital 2020

Lizenziert durch die Fachinformationsdienste FID Asien, FID Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa sowie FID Slawistik

+++ deutschlandweit frei zugänglich +++

Direktlink zu Socialism on Film in DBIS: https://dbis.ur.de/ALL/resources/102948

1.4. Zugangshinweise

Die o.a. Datenbanken sind deutschlandweit und an deutschen Auslandsinstituten über das System der Nationallizenzen zugänglich. An wissenschaftlichen Bibliotheken und Forschungseinrichtungen greifen Nutzende darauf ohne spezielle Anmeldung zu. Interessierte ohne Zugang über eine Heimatinstitution können sich für einen privaten Zugang registrieren, sofern sie ihren ständigen Wohnsitz in Deutschland nachweisen. Bitte folgen Sie dazu unter https://www.nationallizenzen.de/ind_inform_registration den einzelnen Anmeldungsschritten. Nach erfolgter Registrierung werden zeitnah per Post die persönlichen Zugangsdaten zu allen Nationallizenzen versandt, für die sich die/der Nutzende registriert hat.

2. Frei zugängliche Datenbanken zu Film und Osteuropa

Neben lizenzpflichtigen Kollektionen stehen Forschenden auch zahlreiche lizenzfreie Datenbanken zur Verfügung. Im Folgenden eine Auswahl aus dem Themenbereich Film und Osteuropa.

 35mm.online
Artos – Artikel und Rezensionen zu Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa
European Film Gateway
Film und Religion im Russischen Reich und der UdSSR
Filmový Prehled
Filmski Leksikon
Internet Movie Database
Net-film
Polskie Archiwum Filmów Domowych
Repozytorium Cyfrowe Filmoteki Narodowej
Sammlungen / Österreichisches Filmmuseum

Eine ausführliche Übersicht von Datenbanken zum Fachgebiet der Kommunikations- und Medienwissenschaft befindet sich auf der Website des FID Media.

Direktlink zu Datenbanken mit FID-Media-Lizenz: https://search.fid-media.de/myresearch/databases

Eine ausführliche Übersicht von knapp 600 (Stand: April 2025) Datenbanken mit Osteuropa-Bezug befindet sich in der Sammlung „Osteuropa-Studien“ der BSB im Datenbank-Informationssystem (DBIS).

Direktlink zu den DBIS-Sammlungen der BSB: https://dbis.ur.de/BSB/browse/collections/

Monika Radek

1 Casetti, F. (2008). Eye of the century: Film, experience, modernity. Columbia University Press.

2 Blume, Patricia (2024, 4. Juni). Zwei neue Nationallizenzen zur Filmwissenschaft und Fotografiegeschichte. [Website des FID Media]. https://blog.fid-media.de/2024/06/04/zwei-neue-nationallizenzen-zur-filmwissenschaft-und-fotografiegeschichte/, letzter Zugriff am 30.04.2025.

3 Bayerische Staatsbibliothek (2024, 18. Juli). „Kino-fot“ und „Kino-zhurnal A. R. K.“: Zwei neue Nationallizenzen zur sowjetischen Filmwissenschaft und Fotokunst [Website der Bayerischen Staatsbibliothek]. https://www.bsb-muenchen.de/article/kino-fot-und-kino-zhurnal-a-r-k-zwei-neue-nationallizenzen-zur-sowjetischen-filmwissenschaft-und-fotokunst-6398/, letzter Zugriff am 30.04.2025.

4 International Film Festival Rotterdam (2010, 14. April). „What money can buy, or: the stories of Musei Kino and Iskusstvo Kino“. https://web.archive.org/web/20180618230209/https://iffr.com/nl/node/14070. Archiviert am 18. Juni 2018, letzter Zugriff am 30.04.2025.

5 Iskusstvo Kino Digital Archive (2025). [Website der East View Information Services.] https://dlib.eastview.com/browse/udb/1450, letzter Zugriff am 30.04.2025.

6 Yangirov, R. (advisor) (2007). Screen and Stage Online. [Website von Brill]. http://primarysources.brillonline.com/browse/screen-and-stage, letzter Zugriff am 30.04.2025.

7 Kunz, N. & Štanzel, A. (2019, 12. Februar). Als der sowjetische Film laufen lernte: Mit „Soviet Cinema Online“ stellt der Fachinformationsdienst Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa eine neue digitale Quellensammlung kostenfrei und deutschlandweit zur Verfügung. [Blog]. OstBib. Quellen für Osteuropastudien. https://doi.org/10.58079/slby.

8 Kunz, N. (2020, 3. Dezember). Einzigartige Filmsammlung „Socialism on Film: The Cold War and International Propaganda“ für die deutsche Forschung lizenziert. [Blog]. OstBib. Quellen für Osteuropastudien. https://doi.org/10.58079/slck.


OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
OstBib (7. Mai 2025). Osteuropa im Fokus: Digitalisiertes und lizenziertes Filmmaterial für die Film- und Osteuropaforschung. OstBib. Abgerufen am 18. Mai 2025 von https://doi.org/10.58079/13viq


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